Pilgerwegzeichen am Camino Frances.
PILGERN MIT TASCHE, STAB UND KALEBASSE
Einstimmung. Wallfahren im Mittelalter
Carrion de los Condes. Marienstatue.
Wallfahren im Mittelalter war durchaus ein gefährliches, wenn nicht lebensbedrohendes Wagnis: Diebe, Räuber, habgierige Wirte, Händler, Huren taten alles, den gutgläubigen Pilger zu übervorteilen. Das ist gleichwohl nur die eine Seite der Medaille. Er konnte sich sehr wohl auf die Hilfsbereitschaft vieler am Camino wohnenden Menschen verlassen. Die caritativen Einrichtungen, zumeist von Klöstern betrieben, taten ein Übriges.
So ging der Peregrino seinen persönlichen Camino nach Compostell – voll Vertrauen auf Gott, auf Jesus Christus, den Weltenherrscher und der Gottesmutter Maria, der Gnadenreichen.
Das christliche Umfeld
Was war das einzigartige am mittelalterlichen Pilger? Was zeichnete ihn, was machte ihn aus? Ein Versuch der Annäherung.
Das christlich-katholische Umfeld. Der gelebte Glaube an Christus als Weltenherrscher, was die tiefe Verehrung der Gottesmutter einschloss und nicht zuletzt die fast schon persönlich zu nennende Beziehung zum Heiligen Jakobus. War Jakobus nicht einer der Lieblingsjünger Jesu gewesen, mit dabei auf dem Berg der Verklärung, ausgesucht, das Evangelium nach Spanien zu bringen? Der mittelalterliche Pilger hatte schon viel von Compostell gehört. Von vielen Wundern, die dem Heiligen zugeschrieben worden waren. Vielleicht auch vom Hühnermirakel in Santo Domingo de la Calzada. Mit dem Heiligen konnte er sich gut identifizieren. Jakobus trug wie er einen Pilgerstab, wie er einen breitkrempigen Hut, führte wie er eine Wasserflasche mit sich, und nicht zuletzt war da ja noch die Pilger-/Jakobsmuschel. Nichts weiter sonst. Vielleicht noch ein Buch. Arm an Besitz, so wie es der Herr damals seinen Jüngern in Galiläa gesagt hatte, ohne Reichtum, nur das Nötigste am Körper.
Wahrscheinlich kannte er schon einige Wallfahrtsorte der näheren, weiteren Umgebung. War also geübt im Pilgern. Er hatte von Bruderschaften gehört, die längs des Camino einen caritativen Dienst aufgebaut hatten, von hilfsbereiten Menschen. Um die Gauner ging es nicht. Dafür um wunderschöne, imposante Kirchen und Kapellen, von Heiligtümern am Wegesrand. Von Dante Aligheri (13./14. Jahrhundert) wird er wohl nichts gehört haben. Gleichwohl sei hier aus dessen Werk „Vita nova“ zitiert. Dante bezeichnete den Jakobusbruder als einen besonderen, als den eigentlichen Pilger aller Pilger.
Der Pilger steht im Dienst des Allerhöchsten. Will Gott dienen, den Heiligen verehren, weg von zuhause, weg von seinen Verwandten, weg von allem, was er besitzt. Voller Verzehrung und Leiden auf seinem Weg nach Compostell. Aber, es gab eben auch sog. falsche Pilger, Bettler, Vagabunden, Diebe, herumreisende Kleriker, Kaufleute, kurzum jene, die vom Camino lebten, aber auch Reiselustige und Abenteurer. Unser Pilger ging aus religiösen Gründen, eines Gelübdes, eines Ablasses, der Buße, der Sühne, des Dankes an den Herrgott wegen. Dafür war ihm keine Strecke weit genug, es ist ja eine heilige Reise.
BELOHNUNG IN SANTIAGO
Seine Belohnung wartete dort in Galicien, in der Kathedrale des Apostels, hinter dem Hauptaltar mit der Urmarmung der Pilgerstatue des heiligen Jakobs.
Hochgestellte Persönlichkeiten wie der heilige Franziskus, die heilige Isabella von Portugal, Britta von Schweden und viele Bischöfe hatten sich ja auch auf den Weg gemacht - nach Compostela.
Ausrüstung des mittelalterlichen Pilgers
Carrion de los Condes. Pilgerstatue.
Ein kurzer Rock, ein Überwurf (Mantel), ein Hut gegen Wind, Regen und Sonne; ein Pilgerstab zum Abwehren von wilden Tieren. Der traditionelle Jakobsstab, brust- bis mannshoch, ist mit einer Eisenspitze versehen. An ihm sind Verdickungen angebracht, kugelförmig geschnitzt, die unter anderem der Bequemlichkeit dienen sollten. Im Pilgerführer des Codex Calixtinus wird der Stab als "dritter Fuß" des Pilgers bezeichnet.
Was wird er in seinem Lederbeutel mitgenommen haben? Nur das Nötigste. Von zu Hause, vom örtlichen Pfarrer war ihm ja aufgetragen worden, mit den Armen zu teilen. Wechselwäsche wird wohl kaum darin gewesen sein. Die Kalebasse ist ein aus Kürbis erstelltes Trinkgefäß.
Eines der ersten einschlägigen Bilder, die dieses Outfit widerspiegeln, ist eine Miniatur im englischen Albani-Psalter in St. Godehard zu Hildesheim um 1125. Es zeigt Christus als Pilger, allerdings ohne Muschel. Auf dem Türsturz des Westportals von St-Lazare im burgundischen Autun, zwischen 1130 und 1145 gemeißelt, tragen zwei Pilger Taschen, die bei dem einen mit dem Kreuz des Jerusalem-Wallfahrers, beim anderen mit der Muschel des Jakobspilgers nach Santiago de Compostrela verziert ist. Quelle: Norbert Wolf, Die Macht der Heiligen und ihrer Bilder, 2004, Reclam.
Auf dem Rückweg wird er stolz seine Muschel, befestigt an der Hutkrempe, Stab oder Beutel, allen Vorübergehenden gezeigt haben; das Symbol, das Zeichen, dass (ausgerechnet) er in Compostell gewesen ist.
Nicht von ungefähr haben sich, zumindest im deutschsprachigen Bereich, folgende Begriffe herausgearbeitet, die davon zeugen, welche Bedeutung man dem mittelalterlichen Pilger beimaß: Jakobsmuschel - Jacobsmantel - Jacobsstab - Jacobsstecken - Jacobstraße - Jacobswirt - Jacobsbruder - Jakobslöser.
Der Jakobslöser
Schlossmuseum Braunschweig. Sonderausstellung Schatzkammer Harz.
Die teuerste deutsche Münze ist ein Jakobslöser. Die fast 60 Gramm schwere Goldmünze wurde von Herzog Friedrich Ulrich 1625 herausgegeben.
2015 brachte sie bei einer Auktion in London rund eine Million Euro ein. Damit überholte sie den bisherigen Spitzenreiter, den Brandenburger Portugallöser von 1584. Quelle: Weser-Kurier vom 02.08.2016.
Trost für den Pilger
Carrion de los Condes. Kirche Santiago; heute ein Museum.
Wo sonst nur Heilige und Engel Platz haben, in den Bogenläufen der Kirchenportale, da sah er sich wieder, zum Beispiel in der Santiago-Kirche in Carrion de los Condes: als Handwerker, Künstler, Krieger, Ritter.
Eine Offenbarung für den Pilger: Christus der Weltenherrscher hat mich nicht vergessen. In seine Gebete wird er das Ave Maria ganz sicher mit aufgenommen haben. Sie, die Gottesmutter und Jungfrau Maria hatte ihn doch den ganzen Camino über begleitet.